Wie der Esel zum Wappentier der Wissener Karnevalsgesellschaft wurde

Wie in ganz Deutschland hatten auch in Wissen seit 1933 die Nationalsozialisten das Sagen. Im Fastowendszug am Fastowendsdienstag im Jahr 1936 zeigte eine Fußgruppe, was sie von einer Person, respektive von den damaligen Machthabern hielt.

Der närrische Zug zog durch die Straßen von Wissen. Mit dabei eben besagte Fußgruppe, die die Aufmerksamkeit der Zuschauer am Straßenrand auf sich zog, insbesondere die von Harry Goenert,  Schriftleiter der damaligen Volkswacht, dem lokalen NS-Presseorgan.

Diese Fußgruppe war Stein des Anstoßes und wäre fast für die Beteiligten zum Verhängnis geworden.

Ein bis zur Unkenntlichkeit maskierter und mit einer Lodenjoppe bekleideter Mann, trug eine Leiter über der Schulter an deren oberen Ende ein Schild angebracht war auf dem das Wort „Schrift“ stand. Neben diesem Fastowendsgeck trottete ein von einem anderen Karnevalisten geführter Esel. Über dem Rücken des Tieres lag eine weiße Decke, auf der die Buchstaben „HG“ aufgemalt waren. Wie es heißt, sei Harry Groenert beim Anblick dieser Gruppe die Zornesröte ins Gesicht gestiegen. Er nämlich deutete das Bilderrätsel so: Schriftleiter Harry Groenert (HG) ist ein Esel. Für den überzeugten Nationalsozialisten war das des Guten zu viel und er empfand es als persönliche Beleidigung. Die Beteiligten der Fußgruppe wurden zwar von der Obrigkeit nach dem Fastowendszug zur Rede gestellt. Sie hatten aber sehr gute Argumente für ihre Fußgruppe und überhaupt „HG“ hieße ja lediglich „Heute Geck“. Und so blieb die Sache zunächst ohne einschneidende Folgen.

Gruppenfoto der damaligen Wissener Karnevalsgesellschaft „Fidele Altstädter“ auf dem Marktplatz im Jahre 1936. Prinz war Clemens I. Stahl (erste Reihe, fünfter von rechts).
Prinz Clemens I. auf seinem Prinzenwagen beim Fastowendszug 1936. Vorne auf dem Wagen sitzend die Altstadtliesel.

Im Januar des Jahres 1937 hatten sich acht Mitglieder der Wissener Karnevalsgesellschaft „Fidele Altstädter“ zu einem sonntäglichen Frühschoppen in einer Wissener Gaststätte eingefunden. Der fröhliche Frühschoppen wurde den Acht von den Fidelen Altstädter allerdings zum Verhängnis. Montags erfolgte ihre Verhaftung mit der Anschuldigung: Gesang von schmäh- beziehungsweise tendenziösen Liedern, deren Inhalt die Fußgruppe mit dem Esel beim Fastowendszug im Jahr zuvor gewesen sein soll. Auf der Polizeiwache wurden die Karnevalisten von den Polizisten Schwehm und Wäschenbach vernommen,  wobei einer der Fastowendsgecken gesagt haben soll: „Soo Schwehmchen, jez kannste dat Scheuerndoor zomaachen. De Essel senn jetz all he drenn.“ (So Schwehm, jetzt kannst du das Scheunentor, Tür der Polizeiwache, zumachen. Die Esel sind jetzt alle hier drinnen.)

Bei der Gerichtsverhandlung erklärten die Beteiligten abermals, dass die Buchstaben „HG“ lediglich „Heute Geck“ bedeuteten und der Esel einfach mitgelaufen sei. Für diese Art Humor hatte die Staatsanwaltschaft allerdings kein Verständnis.
Berichte und Aussagen damaliger Zeitzeugen zufolge, wären einige der Beteiligten für die damalige Zeit mit glimpflichen Strafen davon gekommen. (Was für  Strafen das waren, daran kann sich heute niemand mehr erinnern.) Für die führenden Köpfe der Fidelen Altstädter, die mit beim Frühschoppen waren, seien Gefängnisaufenthalte angeordnet worden, berichteten Zeitzeugen (wie lang diese waren, konnte nicht mehr mit Bestimmtheit in Erfahrung gebracht werden).
Weiter erzählten Zeitzeugen, wäre ebenfalls für denjenigen, den sie den Dichter nannten, Präsident Fritz Ehlgen, eine Gefängnisstrafe ausgesprochen worden. Zudem sei ein Berufsverbot die Folge gewesen.

Was die Wesser Fastowendsgecken von dem Verbot hielten, zeigt dieses Foto. Man hatte sich trotz Verbot am Fastowend zusammengefunden und suchte den gesicherten Fastowendszug, wie auf dem Schild zu lesen ist.

Das Urteil beinhaltete darüber hinaus, dass die KG „Fidele Altstädter“ mit sofortiger Wirkung verboten wurde und gleichzeitig bedeutete dies auch das „Aus“ für den gesamten Karneval in Wissen.

Gesellschaftsorden der Wissener Karnevalsgesellschaft von 1949 bis 1956.

Trotz Verbot hatten sich die Fidelen Altstädter während der Kriegsjahre und auch danach nicht aus den Augen verloren. Einige Jahre nach Kriegsende war die Zeit gekommen, dass auch der Wesser Fastowend wieder aus seinem „Zwangsschlaf“ geweckt werden sollte. Dies geschah dann am Fastowendssonntag des Jahres 1949, „no d’r letzten Mess“, auf dem Marktplatz.

Seit dem Jubiläumsjahr 1956 wird dieser neugestaltete Gesellschaftsorden der Wissener Karnevalsgesellschaft verliehen.

Die Fidelen Altstädter erinnerten sich auch an die Begebenheiten im Fastowendszug 1936 wie auch an den Frühschoppen 1937 und beschlossen, dass fortan der Esel das Wappentier des Wesser Fastowends sein solle.

Um zu bekräftigen, dass der Esel von nun an das Wappentier der damals noch „Fidelen Altstädter“ (kurze Zeit später wurde daraus die „Wissener Karnevalsgesellschaft“) ist, wurde in der ersten Fastowendssitzung nach dem Krieg ein leibhaftigen Esel in den Saal geführt (siehe Zeitungsbericht).

Bericht in der Rhein-Zeitung vom 12. Januar 1950 von der ersten Fastowendssitzung nach dem Krieg am Sonntag, 8. Januar 1950.

 

Bericht in der Rhein-Zeitung vom 9. Februar 1950 von der Prunksitzung am Sonntag, 5. Februar 1950.
Der Orden der Stadt Wissen wird an Personen verliehen, die sich um das Brauchrtum Fastowend in Wissen verdient gemacht haben.

ANMERKUNG
Anlässlich der Proklamationssitzung 1969 zog der gesamte Gemeinderat, angeführt von Bürgermeister Dr. Everke, geschmückt mit Narrenkappen in den neuen Wissener Farben blau-rot, in die Stadionhalle ein. Im Verlauf der Sitzung wurde erstmalig der von der damals noch „Gemeinde“ Wissen gestiftete Karnevalsorden an Präsident Horst Neutsch, Prinz Hans-Jürgen I. Michl, Theo Hassel, Josef Langenbach und in Abwesenheit an Theobald Müller verliehen.

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Paul Eberhard Nilius, Jahrgang 1950, ist gelernter Schriftsetzer und seit einigen Jahren als Journalist und Fotograf tätig. Seine Leidenschaft ist die Musik.