Der Dilldapp, das Wissener Fabelwesen

Wissener Dilldapp
Der Wissener Dilldapp, sein Aussehen vor gut hundert Jahren.

Um sich ein Bild des Wissener Fabelwesens, dem Dilldapp, machen zu können, zunächst eine kurze Beschreibung.

Der Dilldapp ist eine sehr seltene und scheue Tierart. Sie kommt lediglich in Wissen und Umgebung, im Siegerland und hier und da im Erzgebirge vor. Früher wurde er vornehmlich auf dem Kucksberg und in der Köttingsbach gejagt, aber auch in anderen Wissener Waldstücken wurde er gesichtet und man versuchte dort ebenfalls sein Jagdglück.

Dem ausgewachsenen Dilldapp, ein Wesen, ähnlich einer Kreuzung zwischen einem Kaninchen und einem Iltis, sind zuweilen zwei Hörner gewachsen, die das Aussehen eines Rehbockgeweihs haben. Um den Dilldapp fangen zu können, bedarf es einer ganz eigenen und besonderen Fangmethode, denn dieses Wesen kommt nur bei Nacht zum Vorschein und kann lediglich mit einem Sack und Knüppeln gefangen werden.

Der Dilldapp im neuen Gewand. Auch er geht mit der Zeit.

Darüber hinaus versteht man den Dilldapp auch als Synonym, einerseits für Geselligkeit und Humor, gepaart mit einer Portion Schlitzohrigkeit und andererseits auch für Hintergründiges und Nachdenkliches.

Dies zeigt sich im Besondern darin, dass in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg und danach bis Anfang der 1930er-Jahre die damalige Wissener Karnevalsgesellschaft den Namen „Dilldapp“ trug.

Man schaute der Obrigkeit und dem Volk „aufs Maul“ und beleuchtete Wissener Eigenarten, Ungereimtheiten und Begebenheiten.

Im Laufe der Jahre war der Dilldap in den Köpfen der Menschen nicht mehr present. In jüngster Zeit allerdings ist das Wissener Fabelwesens wieder aufgetaucht.
Im neuen Gewand, dem heutigen Zeitgeist entsprechend, wurde das scheue „Tier“ jüngst wieder in Wissen gesichtet.

 


Eine Dilldappenjagd in alter Zeit

Im „ahlen Wessen“ kam es häufiger zu Jagden auf das scheue Wesen. Etliche Geschichten und Erzählungen ranken sich daher um solch eine Jagd. Interessant ist es dann auch immer wieder, nachzulesen oder gar von älteren „Wessenern“ zu hören, wie es bei solch einer Jagd zuging und welchen Ausgang sie nahm, wie die folgende Aufzeichnung zeigt.

Der Gasthof Hatzfeld zu jener Zeit, in der sich die Geschichte zuträgt.

 Die meisten Geschichten beginnen in einer Wissener Gaststätte, so auch die Schilderung einer Dilldappenjagd aus dem Jahre 1915. Es war die Zeit des Ersten Weltkriegs. Die meisten „Wesser Jongen“ des Jahrgangs 1892 und 1893, die noch nicht zum Militär eingezogen waren, saßen abends des Öfteren bei „Hatzfelds“ zusammen (siehe Anmerkung). Sie hörten gespannt, was ihr Kamerad zu erzählen hatte, der gerade von der Front auf Heimaturlaub gekommen war.

Zur damaligen Zeit kamen reisende Kaufleute nach Wissen, boten ihre Waren an und übernachteten in Wissener Hotels oder Gaststätten mit Fremdenzimmer.

Solch ein sogenannter „Reisender“, der auch in der Gastwirtschaft saß, hörte den „Jongen“ zu und redete ihnen immer wieder ins Wort. Das gefiel ihnen nicht und wie aus heiterem Himmel sagte einer von ihnen „Dilldappenjagd“. Jeder der Burschen wusste, was nun zu tun war. Rasch wechselte das Thema und sie erzählten so interessant von der Jagd und was an den Fellen zu verdienen sei, dass der Reisende aus dem Sauerland immer neugieriger wurde und schließlich fragte, ob er nicht an solch einer Jagd teilnehmen könne. Zunächst wurde dies verneint, aber nach einigem Hin und Her nahmen sie ihn doch mit.

„De Dilldappen kömen speziell nur en Wessen on dann noch emm Sejerland on emm Erzjebirch vür, un et wär enn Kröüzong zweschen nem Kaninchen on nem Iltis. Se gingen nur emm Donkeln rous, on leeßen sech nur ennem Sack fängen. Enn Scheeßjewehr wür üwwerhopt net jebrucht“, (Die Dilldappen kämen speziell nur in Wissen und dann noch im Siegerland und im Erzgebirge vor, und es sei eine Kreuzung zwischen einem Kaninchen und einem Iltis. Sie kämen nur im Dunkeln aus ihrem Versteck und ließen sich nur mit einem Sack fangen. Ein Gewehr würde überhaupt nicht gebraucht.) klärten die Jungen den Reisenden auf. Mit Mehlsäcken und Knüppeln „bewaffnet“ zogen sie aufs Löh. Damals waren auf dem in Richtung Köttingen gelegenen Teil von Wissen nur Felder und noch nichts bebaut. Auf dem Weg dorthin kamen sie an einem Misthaufen mit einer unmittelbar daneben gelegenen Jauchgrube vorbei. Do wur rasch een Knöppel enn de Bröhkoul jeduppt, on met demm jeduppten Enn demm neuen Dilldappenjäjer enn die Hand jedäut. Herr krech jesaht, datt mösste su senn, datt wär Witterong für de Diere ahnzelocken (Da wurde rasch ein Knüppel in die Jauchegrube getunkt, und mit dem getunkten Ende dem neuen Dilldappenjäger in die Hand gegeben. Ihm wurde gesagt, das müsste so sein, das sei Witterung, um die Tiere anzulocken), so die plausible Erklärung. Dann wurde ihm noch der Jagdruf „Hi-u-wi-hiu-i“ beigebracht. Es heißt, der Sauerländer hätte schnell gelernt on bröllte dern Jachtrof wie enn Böllesjen (und brüllte den Jagdruf wie ein kleiner Bulle). Mit dem Sack in der linken und dem Knüppel in der rechten Hand stand der Reisende im nassen Kartoffelfeld. Die Treiber schlugen mit Stöcken gegen die Sträucher und Bäume und machten ein Spektakel, dass es weithin zu hören war. Mit der Zeit verhallte der Krach. Nur einer rief noch unentwegt den Jagdruf. Die Treiber hatten sich aus dem Staub gemacht und waren wieder in ihr Lokal gegangen. Nach einer guten Stunde wollten sie dann doch nach ihrem angehenden Jäger sehen. Einer der Burschen hatte sich einen Mantel und eine Kappe angezogen und gab sich als Jagdaufseher aus und wollte ihn sogleich als Wilddieb festnehmen. Die anderen hielten sich in gewisser Entfernung auf, stießen aber nach und nach zu den beiden. Der zum Jäger avancierte Reisende beteuerte nichts gefangen zu haben und bat inständig, nichts der Polizei zu melden. Dafür würde er sich auch erkenntlich zeigen.

„Goodmödisch wie de Wesser Jongen senn, menden se, göv et dann in derm Fall keene Anzeich“. (Gutmütig wie die Wissener Jungen sind, meinte sie, gäbe es dann in dem Fall keine Anzeige.) Und sie gingen zusammen wieder in den Gasthof. Dort sollte der Jägerdebütant seine Jagdbeute zeigen. Er beteuerte abermals doch nichts gefangen zu haben. In seiner Aufregung hatte er nicht bemerkt, dass sein Sack vertauscht worden war und daraus plötzlich ein lebendiges Tier sprang. „Dat der Dilldapp en Katz wor, hatte er net metgrejen.“ (Das der Dilldapp eine Katze war, hatte er nicht mitbekommen.) Der Sauerländer Kaufmann war überglücklich, doch etwas gefangen zu haben „un wur esu stolz, wie en nass Hohn“. (und er wurde so stolz, wie ein nasses Huhn.) „Dann grech her noch dat Blatt ous derm Nodizbooch, wo her als Welddeb opjeschriwwen wor wurn und mende, jetz künn imm jo keener mie wat, un härr gov jetzt Ronde op Ronde. Un datt schünste an der Jeschichte wor jo, datt härr noch emmer an de Dilldappen glövte“. (Dann bekam er noch das Blatt aus dem Notizbuch, in dem man ihn als Wilddieb notiert hatte und er meinte, jetzt könnte ihm ja keiner mehr etwas nachweisen, und er gab nun Runde auf Runde. Und das schönste an der Geschichte war ja, dass er noch immer an die Dilldappen glaubte.)

„Seng eenzejer Wonsch wor derr, enn Dilldappenfell ze krejen. Datt wur emm och versprochen, un domet gingen se ousenanner“. (Sein einziger Wunsch war der, ein Dilldappenfell zu bekommen. Das wurde ihm auch versprochen, und damit gingen sie auseinander.) Nach einigen Wochen erreichte den Sauerländer Reisenden in seiner Heimatstadt ein Päckchen mit einem Fell. Daraus wollte er einen Pelz für seine Braut bei einem Kürschner anfertigen lassen. Der klärte ihn dann auf, dass das Fell, das wie er glaubte von seinem vermeintlichen Jagdglück stammte, lediglich ein gewöhnliches Hasenfell sei.

Nach dem Krieg, in den er noch eingezogen wurde und aus dem er wieder heil zurück kam, hat man erfahren, dass der „ehemalige Dilldappenjäger“ sein schon bestehendes Geschäft um eine Pelzabteilung erweitert hat.

Dass jemand bei den Dilldappenjagden körperlich zu schaden gekommen ist, ist nicht überliefert. Und so endeten die Jagden meist in einer geselligen und fröhlichen Runde.

Karnevalszeitung Wissen
Wissener Karnevalszeitung von 1925.

ANMERKUNGEN:
Das Fabelwesen „Dilldapp“ gibt es nicht alleine nur in Wissen. Im Siegerland, wo es auch sein Unwesen treibt, hat man daraus eine Komikfigur entwickelt. Die Art der Wissener Jagd, ist eine besonders Spezielle, wie sie nur in Wissen praktiziert wird. Gleichwohl findet man in verschiedenen Regionen von Deutschland Beschreibungen der unterschiedlichen Jagdmethoden, wie das scheue Wesen zur Strecke gebracht wird.
Gaststätte und Hotel „Zum Fürsten Hatzfeldt“ war ein beliebter Treffpunkt der Wissener Bürger. Der Inhaber schrieb sich Hatzfeld mit „d“ am Ende des Namens und nicht mit „dt“, wie die hiesige Adelsfamilie. Der damals in Krottorf lebende Fürst Hermann von Hatzfeldt-Wildenburg habe, so heißt es, dem Wissener Gastwirt per Urkunde erlaubt, seinen Gasthof „Zum Fürsten Hatzfeldt“ zu benennen.
Seit etwa Anfang der 1970er-Jahre gibt es den Gasthof Hatzfeld nicht mehr. Die damalige Straßenbezeichnung an dem sich der Gasthof befand war Ecke Kaiserallee/Gerichtsstraße. Der Straßenname Kaiserallee blieb bis zur NS-Diktatur. Nach dem Zweiten Weltkrieg bekam die Straße den Namen Rathausstraße und so wurde daraus Ecke Rathausstraße/Gerichtsstraße.

QUELLE:
Wissener Heimatbuch von 1951 sowie mündliche Überlieferung.
Abbildung des heutigen Dilldapp: Gestaltung Christian Kalkert,
Copyright: Stadt Wissen

 

Über PEN 74 Artikel
Paul Eberhard Nilius, Jahrgang 1950, ist gelernter Schriftsetzer und seit einigen Jahren als Journalist und Fotograf tätig. Seine Leidenschaft ist die Musik.